Nach den ersten acht Wochen wurde ihr Arbeitsvertrag verlängert. Sie wechselte in die TBS Wilhelmshaven. Vier Jahre in der TBS Seghorn und eine Sonderpädagogische Zusatzausbildung schlossen sich an.
Dann meldete sich Dr. Dieter Warning, der damalige Geschäftsführer der GPS, bei Sabine Gastmann. Ob sie sich vorstellen könne, den Jugendhilfeverbund mit umzustrukturieren und neu aufzubauen? „Damals gab es erst eine Wohngruppe für Kinder mit Behinderung und die gehörte zum Jugendhilfeverbund“, erklärt Gastmann.
Der Wunsch von Eltern nach Wohngruppen für Kinder mit Behinderung aber auch gesetzliche Vorgaben waren dann der Grund, warum der Verbund Ende der 1990er Jahre in die Bereiche Jugendhilfe und Heilpädagogisches Wohnen aufgeteilt wurde. „Gestartet sind wir mit 16 Kindern in zwei Gruppen“, erinnert sich Sabine Gastmann. Den Namen Windrad gab es schon. Er wurde für alle Wohngruppen, die im Laufe der Jahrzehnte dazu kamen, beibehalten und ist längst zu einer Art Marke geworden.
„Mein Auftrag war es, heilpädagogische Gruppen aufzubauen“, sagt die Wilhelmshavenerin. Und so fing sie zunächst an, die Wohngruppen einzurichten. Gemütlich sollte es sein. Denn: „Wenn die Kinder zu uns kommen, dann bleiben sie für eine lange Zeit“, erklärt sie. Die Kinder sollten im Windrad ein zweites Zuhause finden, in dem sie sich wohlfühlen und wie eine Familie zusammenleben können. „Es wird zusammen gekocht, gegessen und gespielt.“
Als Hauptaufgabe der Windräder hat Sabine Gastmann es stets gesehen, sehr wertschätzend mit den Eltern der Kinder zusammenzuarbeiten. „Die Eltern sind unsere Partner, wie entlasten sie. Wir müssen ihnen die Schuldgefühle nehmen, die sie haben, wenn sie ihr Kind in ein Wohnheim geben. Denn diese Entscheidung fällt niemand einfach so.“ Die Eltern gestalten die Zimmer ihrer Kinder mit und holen sie regelmäßig nach Hause. „Wir sind nicht die besseren Eltern“, sagt Sabine Gastmann. Und das ist ein Satz, den sie auch ihren Mitarbeitenden immer wieder ins Gedächtnis gerufen hat.
„Ich mag es gern schön haben“, sagt sie. Dazu gehöre es zum Beispiel, dass mal ein Kuchen gebacken wird oder alle zusammen in den Urlaub fahren. Zwar hat Sabine Gastmann als Leiterin des Heilpädagogischen Wohnverbunds eigentlich nicht in den Windrädern gearbeitet, aber regelmäßig die Entwicklungsberichte der Kinder gelesen. „Ich kenne sie alle“, sagt sie über die inzwischen 80 Mädchen und Jungen. Und auch auf Freizeiten war sie immer wieder dabei. Sogar ihr Sohn Nils musste in seinen Kindertagen dann mal mitkommen. Er ist mit der GPS groß geworden und als Leiter des Heilpädagogischen Zentrums Friesland Süd in Seghorn längst selbst Teil des Unternehmens.
Die Familienfreundlichkeit der GPS ist übrigens etwas, was Sabine Gastmann stets an ihrer Arbeitgeberin geschätzt hat. „Wenn Nils krank war, konnte ich zu Hause bleiben und meine Arbeitszeit flexibel gestalten“, sagt sie. Die GPS habe ihr als berufstätige Mutter die Chance gegeben, Karriere zu machen. Und das sehr schnell. „Meine Familie war dank der GPS immer finanziell abgesichert“, sagt sie. Und auch die große Freiheit in der Gestaltung ihrer Arbeit habe sie immer sehr zu schätzen gewusst.
Langweilig wurde es für Sabine Gastmann auch in ihrer Freizeit nie. 25 Jahre lang war sie als Vertreterin der SPD im Rat der Stadt vertreten. Als Fachfrau aus dem Sozialwesen hat sie im Sozialausschuss mitgearbeitet ebenso wie im Jugendhilfeausschuss und im Schulausschuss. Bis vor wenigen Wochen hat sie den Behindertenbeirat in Wilhelmshaven geleitet – 30 Jahre lang.
Als vor mehr als zehn Jahren der Verein „Schlüsselblume“ in Schwierigkeiten geriet, übernahm sie auch dort noch den Vorsitz. Der Verein kümmert sich um Kinder, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind. „Dort werde ich auch Vorsitzende bleiben, das bin ich irgendwie“, sagt Sabine Gastmann.
Sowohl in ihrem Ehrenamt bei der Schlüsselblume als auch in ihrer Funktion als Leiterin des Heilpädagogischen Wohnverbunds der GPS war Sabine Gastmann stets auch emotional stark gefordert. Hinter jedem „Fall“ steht ein menschliches Schicksal. „Man lernt, eine gesunder Distanz zu entwickeln“, sagt die 63-Jährige. Und es helfe, sich immer auch die Fälle vor Augen zu führen, die am Ende gut ausgegangen sind.
Dennoch, die vergangenen 35 Jahre haben etwas mit Sabine Gastmann gemacht. Das habe sie besonders in der Zeit der Corona -Pandemie gemerkt. „Diese Zeit war die größte Herausforderung während meiner gesamten Berufstätigkeit“, sagt sie rückblickend. Sie habe damals Dinge umsetzen müssen, die ihr sehr schwer fielen. „Es war eine große Herausforderung nach dem gesunden Menschenverstand zu handeln.“ In dieser Zeit musste sie immer wieder mit in den Gruppendienst gehen. Als dort die ersten Coronafälle aufkamen und sie an ihrem freien Tag nach Hause durfte, zog ihr Mann so lange aus – die Quarantäneregeln erforderten das. „Ich habe in diesen Jahren gemerkt, dass ich ausgelaugt bin“, erzählt die Wilhelmshavenerin. Und nach und nach sei dann der Entschluss gereift, dass es Zeit ist, in den Ruhestand zu gehen.
Mit einer großen Feier im Pumpwerk bedankte sich die Geschäftsführung im März bei Sabine Gastmann für ihre geleistete Arbeit. Und was kommt jetzt? Große Dinge sind bislang nicht geplant. „Ich freue mich einfach darauf, alles in Ruhe machen zu können, wann ich es möchte“, sagt sie. Und dass niemand mehr am Samstagabend anrufen wird, um ihr zu sagen, dass die Kollegin morgen Früh im Windrad ausfallen wird, ist auch etwas, auf das sie sich durchaus freut. „Da musste ich manchmal ganz schön rotieren“, erinnert sie sich mit einem Schmunzeln. Und dieses Schmunzeln zeigt, dass sie all das in den vergangenen 35 Jahren sehr gerne und mit viel Herzblut getan hat. Aber damit ist nun Schluss.