Asperger Diagnose Autimus Therapie Zentrum Marten Leenderts

Neues aus der GPS

"Die Asperger-Diagnose war eine Erleichterung"

Der elfjährige Marten hat das Asperger-Syndrom. Er tut sich schwer mit sozialen Kontakten, kann Reize nicht ausblenden. Weil sein Verhalten nicht der Norm entspricht, sind er und seine Eltern immer wieder Vorurteilen ausgesetzt. Das verletzt und grenzt aus, sagt die Familie.

Manchmal ist für Marten alles zu viel. Geräusche, Lichter, andere Menschen: Der Elfjährige nimmt alles wahr, filtert nicht. Er kann das Piepen der Kasse nicht ausblenden, hört jedes Gespräch. Die Lampen sind zu grell für seine Augen, irgendetwas verläuft nicht nach Plan. Marten schreit, weint, tobt. Seine Eltern wollen ihn beschützen, ihn beruhigen – und geraten selbst in den Fokus. „Wenn das im Supermarkt passiert, starren dich gleich 20 Menschen verständnislos an“, sagt Ulrich Leenderts. Sein Sohn hat das Asperger-Syndrom, eine Form des Autismus. Ein Zusammenbruch wie dieser ist typisch für Menschen mit dieser Diagnose. Doch Fremde sehen diese Diagnose nicht, begegnen der Familie oft mit Vorurteilen oder Unverständnis.

Den ersten Verdacht, dass ihr Sohn autistisch sein könnte, hatten seine Eltern im Jahr 2017. Marten konnte nicht auf anderen Menschen zugehen, wusste nicht, wie er sich in der sozialen Interaktion verhalten sollte. Statt mit den Kindern im Kindergarten zu spielen, kniff er ihnen manchmal grundlos ins Gesicht, um eine Reaktion hervorzurufen. Beim Kinderturnen war es besonders schlimm. Marten fiel auf, galt als unerzogen. Die anderen Eltern kommentierten: „Wie kann er das nur machen?“ oder „Wenn mein Kind das machen würde, gäbe es abends aber kein Fernsehen mehr.“ Was sie nicht sahen: Eine solche Bestrafung hätte nichts besser gemacht. Im Gegenteil.

Martens Eltern suchten Hilfe bei einem Kinderpsychologen. Er überwies sie in die Frühförderung, der Junge wechselte vom Regel- in einen integrativen Kindergarten. „Da hat sich vieles direkt verbessert“, sagt seine Mutter, Meike Leenderts.  Marten konnte sich besser entfalten, es gab kein „muss“ mehr für ihn: „Gelebt wurde ein offenes Konzept. Er konnte selbst entscheiden, was er wann machen wollte.“

Im Jahr 2019 zog die Familie nach Wittmund, Marten kam ins Autismus Therapie Zentrum der GPS in Wilhelmshaven. „Marten ist seitdem reflektierter und kann besser mit Problemen umgehen“, sagen seine Eltern. In der Therapie werden Spiele gespielt, es gibt viele Gespräche und auch Alltagssituationen wie das Einkaufen beim Bäcker werden trainiert. Das Ziel: Marten soll möglichst selbstständig werden, viele Situationen alleine meistern. „Wir wünschen uns für ihn, dass er mal ohne Hilfe leben kann“, sagt Ulrich Leenderts.

Bis dahin ist es für den Elfjährigen freilich noch ein langer Weg. Momentan sind es noch Alltagsprobleme, die ihn und seine Familie beschäftigten: der Tagesablauf, das ins Bett gehen, aber auch der Umgang mit Konflikten oder die Möglichkeit, sich selbst bemerkbar zu machen und seine Probleme auszudrücken. Marten lassen diese Gefühle lange nicht los. Er spricht nicht darüber, aber sein Verhalten verändert sich. Nach Wochen oder sogar Monaten platzt es aus ihm heraus, dann schreit er plötzlich, dass er damals etwas ungerecht fand.

Momente wie diese fordern nicht nur den Jungen, sondern auch seinen Eltern. Genauso ist es mit den Overloads, in die er vor allem dann gerät, wenn etwas im Alltag nicht nach seinem „Fahrplan“ läuft – also nicht so, wie er es geplant hat. Dank der Diagnose wissen seine Eltern, warum Marten so reagiert. „Es war eine Erleichterung, als er sie bekommen hat. Da hatte das Kind endlich einen Namen“, sagen sie.

Die Nachbarn und die Familie haben die Leenderts aufgeklärt. Sie verstehen, warum Marten ist, wie er ist. Warum er kaum Nähe zulässt und distanzierter ist. Auch in der Schule geht die Familien offensiv mit dem Thema um. Marten besucht das Mariengymnasium in Jever. Er hat eine Schulbegleitung, die ihn unterstützt. „Als Marten in die Klasse kam, hat die Lehrerin mit allen einen Film über Autismus geschaut“, erzählt Meike Leenderts. Und genauso gut sei es weitergegangen: „Es herrscht ein toller Austausch zwischen uns, den Lehrern und Martens Therapeutin.“

Schwieriger ist es für Marten mit seinen Klassenkameraden. Manche seien sehr verständnisvoll, andere ärgerten den Jungen. Vor allen in den Pausen komme es dadurch zu Konflikten. Dank seiner Schulbegleitung ist das allerdings besser geworden: „Sie hat ein Auge darauf und kann nicht nur Marten, sondern auch die anderen Kinder gut einschätzen.“

Für den Elfjährigen ist in den Pausen vor allem eines wichtig: ein Plan. Das gilt ebenso für den Alltag. Seine Eltern haben die Tage strukturiert, alles folgt dem gleichen Schema – allerdings bewusst ohne feste Uhrzeiten. „Wenn im Plan steht, dass es täglich im 17.30 Uhr Essen gibt, das aber aufgrund von Terminen mal nicht klappt, wirft ihn das aus der Bahn“, erklärt sein Vater. Deshalb heißt es: „Abendbrot gibt es dann, wenn all nach Hause kommen.“

Marten kommt mit solchen Hilfsmitteln und dank seines Umfelds aktuell gut zurecht. Und doch gibt es immer wieder Situationen, in denen er und seine Familie auf wenig Verständnis stoßen. „Wir wünschen uns mehr Toleranz für Erkrankungen, die nicht sichtbar sind“, sagen seine Eltern. Das gilt vor allem, wenn diese sich nicht in der typischen, von der Gesellschaft erwarteten Form äußern: „Nicht jeder Mensch mit Asperger erfüllt die gleichen Klischees, ist gut in Mathe oder hat eine Inselbegabung. Bei Marten ist das nicht so. Oder wir haben seine Inselbegabung einfach noch nicht herausgefunden.“

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