Was wünschen sich Menschen mit Behinderungen von ihrem Leben? Wie wollen sie wohnen, arbeiten, ihre Freizeit verbringen. Oder auch ganz klein gedacht: was möchten sie essen und wann ins Bett gehen?
Fragen wie diese beschäftigen uns in unserer Arbeit jeden Tag. Aber finden wir auch Antworten, die jedem Menschen gerecht werden? Haben wir für jeden Lebenswunsch, jeden (möglichen) Bildungsweg und jeden Übergang ein gutes Angebot? Oder machen wir passend, was passen muss?
Wollen wir den Menschen mit all seinen Wünschen und Bedarfen ernst nehmen, müssen wir ihn in den Mittelpunkt stellen. Wir dürfen ihn nicht unseren Angeboten anpassen, wir müssen uns an ihm ausrichten. Damit besinnen wir uns nicht nur zurück auf das, wofür wir angetreten sind. Wir erfüllen auch unseren gesetzlichen Auftrag: Durch das Bundesteilhabegesetz wird diese Personenzentrierung jetzt zur Pflicht.
Aber was heißt das eigentlich für die GPS? Es ist nicht weniger als ein grundlegender Umbruch. Sämtliche Strukturen müssen auf den Prüfstand, sämtliche Angebote, Arbeitsabläufe, kurz: das gesamte Unternehmen. Vor uns liegt ein langer Prozess.
Zum Auftakt erläutert uns Silke Vogelbusch, Erste Kreisrätin des Landkreises Friesland und Mitglied des GPS Verwaltungsrats, was sich durch das BTHG verändert hat und noch verändern wird.
- Was ist das Ziel des Bundesteilhabegesetzes?
Das Ziel ist, dass der Mensch mit Behinderung im Fokus steht und sonst nichts und niemand. Es geht um seine Wünsche und Bedürfnisse und nicht um das, was die Einrichtungen, die Verwaltungen oder die Hilfeanbieter ihm bisher geben konnten. Das bedeutet, dass sich alle anders aufstellen müssen.
- Was hat sich dadurch bereits geändert?
Wir als Verwaltung sprechen inzwischen mit dem betroffenen Menschen selbst und zwar bei ihm oder ihr zu Hause. Es kann eine Vertrauensperson bei dem Gespräch dabei sein, wenn das von dem oder der Betroffenen gewünscht wird, das muss aber nicht sein. Wir haben uns deshalb inzwischen ganz anders aufgestellt und viel mehr Pädagogen mit ins Team geholt. Sie sind speziell geschult und können ganz anders mit den Menschen reden, als es Verwaltungsfachleute könnten.
Am Anfang wurde uns viel Unverständnis von Angehörigen entgegengebracht. Denn natürlich möchten Sie das Beste zum Beispiel für ihr Kind und gehen auch davon aus, dass sie selbst genau wissen, was das Beste ist. Aber oft meinen sie auch etwas anderes, als sich der betroffene Mensch selbst wirklich wünscht. Und rein rechtlich dürfen sie auch nicht mehr für ihren Angehörigen entscheiden.
Geändert hat sich außerdem der Abrechnungsmodus. Früher wurde eine Gesamtsumme an einen Träger bezahlt. Jetzt wird klar getrennt zwischen den Leistungen für die Lebenssicherung, also Unterkunft, Heizung, Essen und so weiter, und für die pädagogische Hilfe. Das macht den Aufwand natürlich größer. Und es macht am Ende auch die Leistungen teurer. Denn vorher gab es ein „Standardangebot“ für alle Menschen mit ähnlichen Einschränkungen. Dadurch, dass man jetzt individuell auf jede einzelne Person schaut, erhöht das die Kosten für die Leistungserbringung.
- Wie konkret sind denn die Vorstellungen und Wünsche der Menschen mit Behinderung?
Die Menschen wissen ganz genau, was sie sich wünschen. Eine junge Frau aus dem Projekt „Vielfalt leben“ wollte zum Beispiel unbedingt etwas mit älteren Menschen machen. Sie arbeitet jetzt im Sophienstift in Jever als Reinigungskraft und kümmert sich begeistert um die Menschen dort. Wenn die betroffenen Menschen unerreichbare berufliche Wünsche äußern, sind unsere Pädagogen darauf geschult, mit ihnen gemeinsam herauszufinden, was eine machbare Alternative wäre.
Und auch im Bereich Wohnen wird versucht, die Wünsche der Menschen zu realisieren. Wenn jemand zum Beispiel gerne allein wohnen möchte, müssen wir zunächst mal definieren, was „allein Wohnen“ heißt. Vielleicht kann das auch bedeuten, dass jemand in eine Wohngemeinschaft einzieht. Da muss individuell geschaut werden, wieviel Betreuung ein Mensch braucht und ob ihm das allein Sein überhaupt gut tut.
- Welche Schritte zur Umsetzung des Gesetzes stehen noch aus?
Die Leistungsanbieter müssen jetzt schauen, wie sie sich aufstellen. Das Programm, das früher angeboten wurde, ist sicher kostengünstiger. Doch jeder muss nun für sich ermitteln, was er den Menschen mit Behinderung anbieten möchte, um auf dessen individuelle Bedürfnisse besser einzugehen. Aber auch, was er anbieten kann, damit es noch bezahlbar und auch leistbar bleibt. Denn für die Umsetzung braucht man Fachkräfte.
Wir müssen gemeinsam einen vernünftigen Weg für alle Beteiligten finden. Das wird eine Mischung aus den alteingesessenen Einrichtungen wie den Werkstätten und neuen Angeboten sein, wie zum Beispiel der neue Laden „Nordsee freundlich“ in Jever. Wir freuen uns über jeden Menschen mit Behinderung freuen, der auf dem ersten Arbeitsmarkt ankommt. Es wird aber auch immer die Menschen geben, die den geschützten Rahmen einer Werkstatt brauchen. Es gehört auch zum Entwicklungsprozess, Grenzen zu akzeptieren.
Die Gesellschaft, die GPS und auch die Kostenträger müssen sich alle weiterentwickeln, um sich immer mehr zu öffnen. Das ist eine Herausforderung, die sicherlich noch Zeit brauchen wird.