Mein Name ist Luca, ich bin 17 Jahre alt, habe Autismus und bin ein Schüler und momentaner Klassensprecher der Klasse H10b in der Marion-Dönhoff-Schule (kurz: MDS) in Wilhelmshaven. Zurzeit mache ich ein Schulpraktikum bei der GPS Wilhelmshaven. Aber wie bin ich hier eigentlich hingekommen, wo komme ich her und was habe ich bisher erlebt?
Geboren wurde ich im Jahre 2008 in einer kleinen Stadt in Nordrhein-Westfalen mit dem Namen „Grevenbroich“. Meine Mutter hat mich alleine großgezogen, da mein Vater uns zeitnah nach meiner Geburt verließ. Er wollte immer ein Kind, doch als ich geboren wurde, wollte er es anscheinend doch nicht mehr. Außerdem wurde ebenfalls zeitnah festgestellt, dass ich eine „Spastische Diparese, Zerebralparese“ habe. Umgangssprachlich ist das eine Gehbehinderung, mit der ich bis heute zu kämpfen habe.
Ich war in einem Kindergarten in Duisburg, bis ich vor meiner Einschulung im Jahre 2014 wieder nach Grevenbroich zog. Ich bin ein paar Mal aus Grevenbroich weg und wieder hingezogen. Meine erste Schule war die LVR Förderschule in Mönchengladbach in der ich die erste Klasse übersprang. Diese übersprungene Klasse sollte aber nicht lange halten.
Folglich fing ich in der zweiten Klasse an und alles lief eigentlich ganz gut, bis auf, dass ich jeden Sommer offene Knie hatte, da ich aufgrund meiner Gehbehinderung oft stürzte. Das Ende der fünften Klasse sollte dann den ersten größeren Wandel mit sich ziehen. Anders als man es normalerweise macht, ging ich nach der vierten Klasse NICHT in eine andere Schule, sondern verbrachte die fünfte Klasse ebenfalls an der LVR Förderschule. Dies hatte zwar auch eine positive Seite aber größtenteils negative.
Das Positive war das in meiner Klasse dann mein bis heute bester Freund eingeschult wurde und wir uns direkt super verstanden. Es fand aber auch ein Lehrerwechsel statt, eine unserer neuen Lehrer*innen hasste mich anscheinend. Warum, wissen wir bis heute nicht. Aber sie setzte mich immer unter Druck, schrie mich an und hat mir auch versucht einzureden, ich würde auf einer normalen Schule untergehen. So kam es, dass ich als lernbehindert eingestuft worden war, obwohl ich das offensichtlich nicht bin. Meine Mutter hat gekämpft, um mich von da wegzubekommen. Innerhalb des Schuljahres schafften wir es.
Meine neue Schule war die „Käthe-Kollwitz-Gesamtschule (kurz: KKG) in Grevenbroich in der ich bis 2022 blieb. Ich startete wieder in der fünften Klasse, somit war das übersprungene Jahr wieder ausgeglichen. Dann stand innerhalb der ersten drei Monate die erste Klassenarbeit an. Diese war im Fach Englisch und meine allererste Klassenarbeit jemals. Die LVR Förderschule hatte weder Klassenarbeiten noch Noten, deswegen waren alle sehr überrascht als das Ergebnis bekannt gegeben wurde: Ich beendete die Englisch-Arbeit mit der Bestnote 1+.
Alles lief auch relativ gut und 2020 hatte ich dann meine Bein-Operation in der Schönklinik in München. Dabei wurden meine Sehnen verlängert, weil ich bis dato nur auf Zehenspitzen laufen konnte. Sechs Wochen fiel ich in der Schule aus, lebte mich aber schnell wieder ein. Doch wie man schon lesen konnte, war es das Jahr 2020, das auch als Pandemieanfang bekannt ist. Corona verteilte sich und der Lockdown der Schulen und das Homeschooling waren das Ende des damaligen Luca. Den Luca den man damals kannte, sollte es ab dann nicht mehr geben.
Wir schreiben das Jahr 2022, Homeschooling und Wechselunterricht regieren die Schulwelt noch immer. Viele Schüler wurden mental gebrochen oder – wie ich – sogar tief depressiv. Ich verweigerte alles, was mit Schule zu tun hatte. Zu der Zeit war mir nicht klar, dass ich Autismus habe. Deswegen war ich mit sehr viel mehr überfordert und allgemein anders.
Ich habe meine Mitmenschen immer verurteilt dafür, dass sie mich nicht verstehen. Dabei habe ich mich eigentlich selber nie verstanden.
Man hat mich in eine Psychiatrie gesteckt. Ich versuchte es zu verweigern, da ich nicht von Zuhause wegwollte. Aber im Nachhinein weiß ich, dass es der Ort war, der mich zu dem gemacht hat, der ich heute bin. Oder sollte ich lieber sagen: Es war eine bestimmte Begegnung?
Bis dato hatte ich mich bei Freundschaften nur auf Jungs fokussiert und habe nie groß mit Mädchen gesprochen. Doch diese Person, die ich in der Psychiatrie in Viersen-Süchteln traf, war ein Mädchen. Dieses Mädchen und ich waren uns so ähnlich was Vorlieben und Persönlichkeit anging, dass wir relativ schnell sehr gute Freunde wurden – und das Wichtigste: sie hat ebenfalls Autismus.
Zu der Zeit erfuhr ich auch die offizielle Diagnose. Ich fühlte mich endlich verstanden und erlöst. Ich war so froh darüber, dass ich endlich jemanden fand, der mich versteht. Sie war der Hauptgrund, warum ich heute so bin, wie ich bin.
Wir hatten zusammen Autismus-Therapie innerhalb der Klinik und allgemein viele schöne Momente. Ein Highlight mit dem ich alle beeindruckte war ein Songauftritt bei einem kleinen Theaterstück im Rahmen einer der vielen Aktivitäten und Therapien in der Klinik. Ich sang eins meiner Lieblingslieder von einem meiner Lieblingsmusiker in einer Karaoke Version – obwohl ich zu der Zeit mit einer Erkältung krank war. Doch mein Kampfgeist und Wille loderten in dem Moment wie nie zuvor und ich habe es durchgezogen – auch, um dem Mädchen, dem ich so vieles zu verdanken habe, etwas zurückzugeben, da es auch ihr Lieblingslied war. Nach drei Monaten endete mein Klinik-Aufenthalt und der neue Luca wurde geboren. Mit dem Mädchen verbindet mich immer noch eine starke Bindung und wir haben bis heute Kontakt.
Wir befinden uns nun am Ende des Jahres 2022. Aufgrund meines Onkels, der in der Wilhelmshavener Marine stationiert war, besuchten wir Wilhelmshaven und waren so begeistert, dass wir wussten: wir müssen dahinziehen. Wir wollten unbedingt aus NRW, dem Bundesland das mich brach, weg. Schon in den Urlauben in Wilhelmshaven bemerkten wir, dass ich aufblühte. Mir ging es viel besser.
Ende März 2023 war es dann soweit. Wir wohnten endlich fest in Wilhelmshaven und meldeten mich schneller als erwartet an der Marion-Dönhoff-Schule an. Nach den Osterferien ging es dort los und ich wurde in die siebte Klasse gesteckt. Im NRW hatte ich die wegen meiner Krise verpasst. Ich blühte auf, war seitdem auch fröhlicher und vor allem kam nun das zum Vorschein, was das Mädchen aus der Klinik auslöste. Während ich mich damals nur mit Jungs angefreundet hatte, ist es seit der Klinik umgekehrt und ich verstehe mich mit den Mädchen meiner jetzigen Klasse viel besser als mit den Jungs.
Mein Alltag war jetzt besser als je zuvor. In jedem Jahrgang der MDS, den ich miterlebt habe, bin ich einer der Besten, wenn nicht sogar der Beste meiner Klasse. Wir hatten in der neunten Klasse schon ein Praktikum. Dort habe ich mich aber nicht wohl gefühlt. Das habe ich aber auch überstanden. Heute bin ich Klassensprecher in der H10b der Marion-Dönhoff-Schule und wurde auch zum stellvertretenem Schülersprecher der Schule ernannt. Und nun bin ich hier im Schulpraktikum im Jahrgang 10 bei der GPS WHV und schreibe meine Geschichte.