Stell Dir vor, Du bekommst an jedem Morgen einen Kamillentee serviert. Dabei magst Du viel lieber Kaffee. Wie gern hättest Du eine Tasse. Aber niemand hört Dich, denn Deine Worte finden keinen Weg aus Deinem Kopf heraus. Du hast es mit blinzeln probiert, mit Lauten. Nur leider hat es niemand verstanden – oder bemerkt. Und dies ist nur eine Situation von vielen, in der Du völlig fremdbestimmt warst. In der keiner Deine Wünsche gehört hat. Da war der Morgen, an dem man Dich mit dem Rollstuhl nach draußen gebracht hat, obwohl Du gerade Radio gehört hast, deine Lieblingssendung. Am Abend wurde dann das Licht ausgemacht, obwohl Du das Bild an der Wand anschauen wolltest. Jedes Mal hast Du geschaut, hast es mit Mimik oder einer Handbewegung versucht. Aber keiner hat es gemerkt, dass Du etwas zu sagen hast. Dass Du sprechen kannst – nur auf andere Weise. Irgendwann bist Du „ausgerastet“, hast den Kamillentee vom Tisch gefegt, und dir in die Hand gebissen. „Der ist aber schwierig“, haben sie gesagt und „was hat er bloß“. Dabei hast Du doch nur versucht, ihnen genau das zu zeigen.
Das Ziel: Den Menschen und seine Wünsche verstehen
Es sind Situationen wie diese, die Sandra Dreyer vom Fachdienst für Unterstützte Kommunikation zur Hilfe gerufen wird. Sie kommt in die Einrichtung, versucht Kontakt mit dem Menschen aufzunehmen, ihn zu verstehen. Dabei nutzt sie verschiedene Hilfsmittel – je nach Fähigkeit und Bedarf des einzelnen. „Für manche hilft das Zeigen auf Dinge, die im Raum sind“, erzählt sie. Andere können Piktogramme nutzen, die ausgedruckt wurden. „Wie bei einer Speisekarte kann der Nutzer dann Kaffee oder Tee bestellen. Oder zeigen, ob er nach draußen möchte oder lieber nicht.“ Im nächsten Schritt könnten Gebärden eingesetzt werden oder ein Talker zum Einsatz kommen: Eine App auf einem iPad, die der/die Nutzer*in bedient. Eine Computerstimme spricht dann aus, was der Mensch sagen möchte.
Wie wichtig es ist, sich ausdrücken zu können, hat Sandra Dreyer schon als Kind erfahren. Ihr Opa hatte Kehlkopfkrebs, verlor nach einer Operation seine gesprochene Sprache. „Das hat ihn stark eingeschränkt und verändert“, erzählt sie. Berührungsängste hatte sie trotzdem nicht, vielmehr war es Neugier, die sich in dem Mädchen regte: Wie kommt ein Mensch damit zurecht, etwas nicht oder nicht mehr zu können? Wie sieht der Alltag mit einer Einschränkung aus und was für Lösungen gibt es?
UK als absolutes Herzensthema
All diese Fragen führten schließlich dazu, dass sie sich für den Beruf der Ergotherapeutin entschied. Seit 24 Jahren ist sie bei der GPS, war zwölf Jahre lang in der Tagesstätte Ebkeriege, arbeitete viel in der tiergestützten Therapie mit Pferden und einem Hund, den sie selbst ausbildete. Danach baute sie die Praxis für Ergotherapie auf, kam dabei mit Kindern in Kontakt, die unterstützt kommunizierten. Ihre Motivation war geweckt. Im Jahr 2007 nahm sie am zweiten GPS-internen UK-Multiplikatoren-Kursus teil, fand nicht nur Einblicke und Ideen, sondern auch ihr absolutes Herzensthema.
Wenn Sandra Dreyer spricht, sprechen ihr Gesicht und ihre Hände mit. „Mit nur 200 Gebärden kann ich vieles abbilden, was im Alltag wichtig ist“, erzählt sie. In der GPS gibt sie entsprechende Lautsprachunterstützende Gebärden-Kurse. Gelernt wird die Deutsche Gebärdensprache, nach Kestner, sogenannte Schlüsselworte die unterstützen, einander zu verstehen. Im Jahr 2019 wechselte sie in den Fachdienst. Seitdem hilft sie nicht nur Nutzer*innen, eine Sprache zu finden. Sie unterstützt Kolleg*innen, zeigt Lösungsmöglichkeiten auf, referiert, vermittelt und gibt auch zertifizierte Kurse für Mitarbeitende.
UK muss auch zum Umfeld passen
Dabei hat sie schnell gelernt, dass Unterstütze Kommunikation nicht nur zum Menschen selbst passen muss. Sie muss auch vom Umfeld akzeptiert werden. „Bis wir das richtige Hilfsmittel gefunden haben, braucht es Zeit und Geduld“, sagt sie. Und dann müssen Fachkräfte oder Angehörige auch willens sein, dem Nutzer zuzuhören und sich auf diese Form der Kommunikation einlassen. „Wir hören manchmal, dass das nicht nötig sei. Dass man schon wisse, was der Mensch möchte“, erzählt sie. Dabei werde oft einfach nur das, was sich Angehörige oder Fachkraft in einer Situation wünschen würden, auf den Menschen mit Behinderung projiziert. Ob er oder sie das gleiche möchte? In vielen Fällen wahrscheinlich nicht.
In der GPS wird bereits viel für die Unterstützte Kommunikation getan. Farblich strukturierte Tagespläne, Dienstpläne mit Fotos & Namen oder einheitliche Symbole, um sich in allen Einrichtungen zurechtzufinden. „Wir müssen aber noch mehr in Kommunikation gehen“, sagt Sandra Dreyer. In vielen Einrichtungen gibt es Multiplikatoren für Unterstütze Kommunikation. 120 haben sich innerhalb der GPS bereits ausbilden lassen, ca. 60 sind momentan aktiv. „Ich wünsche mir, dass es in jeder Einrichtung jemanden gibt, der mit einem gewissen Stundenkontingent darauf achtet, wie mit den Nutzern*innen kommuniziert wird und wo es Verbesserungsmöglichkeiten gibt.“ „Wir brauchen Zeit und auch Möglichkeiten die Kolleginnen vor Ort mit Hilfsmitteln und dem Fachwissen zu unterstützen, auch das muss gelernt werden.“
Wichtiger Schritt für mehr Unabhängigkeit
Ein wichtiges Ziel der Unterstützen Kommunikation ist Selbstbestimmung. Die lasse sich am besten mit der Schriftsprache erreichen. Denn die mache unabhängig von anderen Menschen und Geräten. In einem funktionierenden WLAN sei aber auch der Talker eine große Hilfe. So lasse sich damit etwa das Licht steuern oder der Notruf wählen. Vor allem für Menschen mit einer Körperbehinderung ist das eine große Hilfe und ganz viel Unabhängigkeit.
Manchmal sind es auch nur kleine Schritte, die erreicht werden. Und auch die sind ein großer Erfolg. Sie erlauben es dem Menschen, sich mitzuteilen und selbstbestimmter zu sein. „Nur, wenn ich sagen kann, was ich fühle oder was mir nicht passt, bekomme ich, was ich möchte.“ Dieses Abbauen von Sprachbarrieren ist im Übrigen viel mehr als ein Angebot an die Nutzer*innen. Kommunikation ist ein Grundrecht, das in der Behindertenrechtskonvention fest verankert ist. „Meine Stelle ist somit auch politisch“, sagt Sandra Dreyer. Denn sie setzt sich nicht nur für den einzelnen ein, sondern auch dafür, dass Unterstützte Kommunikation auf allen Ebenen mitgedacht wird, um niemanden auszuschließen.